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Gräberfeld und der von Aleš Vesely gestaltete Davidstern aus Eisenbahngleisen am Eingang der "Kleinen Festung" in Theresienstadt

Gegen Vergessen und Ignoranz - auf den Spuren nationalsozialistischer Verbrechen

Vom 16. bis 20. Juni fand bereits zum dritten Mal eine freiwillige Bildungsfahrt zu historischen Orten nationalsozialistischer Verbrechen in Prag, Theresienstadt und - erstmalig - Auschwitz statt. Die Reise, an der in diesem Jahr 15 Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs 9 teilnahmen, zielte darauf ab, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten und ein Bewusstsein für die eigene Verantwortung in Gegenwart und Zukunft zu schaffen.


Nach der Ankunft in Prag führte unser Weg zur geschichtsträchtigen Kirche St. Cyrill und Method, in der sich die Attentäter Reinhard Heydrichs nach dem Anschlag im Juni 1942 versteckten und sich nach stundenlangen Feuergefechten mit der SS selbst richteten. Im Anschluss an diesen wichtigen Erinnerungsort des NS-Widerstands begaben wir uns vorbei am Strahov-Stadion und dem „Genscher Balkon“ über die Karlsbrücke in den Stadtteil Holešovice, in welchem auf dem ehemaligen „Radiomarkt“ zehntausende Prager Juden gesammelt und schließlich wenige hundert Meter davon entfernt, vom Bahnhof Bubny aus Richtung Theresienstadt und von dort aus weiter in die Vernichtungslager wie Auschwitz deportiert wurden.

Erinnerung an die Heydrich-Attentäter in der Krypta von St. Cyrill und Method

vor dem größten Stadion der Welt - dem Strahov-Stadion mit Platz für bis zu 250.000 Menschen

Bahnhof Bubny mit dem 2015 eingeweihten Denkmal "Tor ohne Wiederkehr"

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modernes Gedenken an Sir Nicholas Winton, der 1939 noch 669 jüdische Kinder mit acht Zugtransporten nach Großbritannien vor den Nationalsozialisten rettete

Der zweite Tag führte uns nach Bohušovice - damaliger Ankunftsort der Züge mit den Prager Juden vom Bahnhof Bubny aus. Wir gingen von dort gemeinsam mit unserem Guide Lukáš Lev den ursprünglichen Weg, den auch die Juden in das ehemalige Ghetto Theresienstadt laufen mussten. Nach einem Halt auf dem jüdischen Friedhof, dem Besuch des Krematoriums sowie der Erläuterung des 2015 gestalteten Gedenksteins, besichtigten wir das ehemalige jüdische Ghetto und hatten dabei die Gelegenheit, auch eine improvisierte Synagoge, eine Replika-Musterwohnung sowie den von Lukáš Lev vor einigen Jahren entdeckten Dachboden mit Inschriften aus der Zeit des Ghettos zu besuchen.

Höhepunkt des Tages war aber zweifelsohne ein Live-Video-Call nach New York, bei dem die Jugendlichen mit der Holocaust-Überlebenden Inge Auerbacher sprechen konnten. Die 90jährige erzählte dabei von ihrer Zeit in Theresienstadt und rief mit ihren Antworten auf die Fragen der Schüler die Geschichte in mahnende Erinnerung.

Den Abend beendeten wir mit einem Besuch bei einem Fußballspiel des DFC Prag - dem Verein deutscher Juden in Prag, der 1939 verboten und 2015 wiedergegründet wurde.

Exkurs zu Geschichte und Wesen des Judentums auf dem jüdischen Friedhof

2015 gestaltetes Denkmal für Millionen jüdischer Opfer

Replika-Musterwohnung mit typischer Kleidung für jüdische Ghettobewohner

Lukáš Lev zeigt Inschriften und Zeichnungen jüdischer Kinder auf dem von ihm entdeckten Dachboden

beeindruckender Live-Video-Call nach New York...

...für ein Gespräch mit der Zeitzeugin Inge Auerbacher

Mannschaft des DFC Prag mit dem Ehrengast Herrn Venus

Am Mittwoch stand der zuvor erwähnte DFC Prag im Mittelpunkt. Sporthistoriker Dr. Thomas Oellermann führte uns zur Gründungsstätte des Vereins auf die Letná-Ebene und gab dort Einblicke in die Vereinsgeschichte. Paul Mahrer, der wohl bekannteste Spieler des Vereins, der sich unter dem Druck der Nationalsozialisten 1939 auflöste, wurde selbst nach Theresienstadt deportiert, überlebte das Ghetto jedoch und konnte mit seiner Familie in die USA emigrieren. Nach weiteren Exkurse in die Sportgeschichte beendeten wir den Vormittag in einer Sonderausstellung im Nationalmuseum - dort war es uns möglich, Mahrers Originaltrikot von Olympia 1924 zu besichtigen. Mit vielen Eindrücken der vergangenen Tage machten wir uns am Nachmittag auf den Weg zum emotional anspruchsvollsten Teil der Fahrt; nach Auschwitz.

Dr. Thomas Oellermann gibt Einblicke in die Vereinsgeschichte des DFC Prag

Gruppenbild auf der Letná-Ebene

Olympia-Trikot von Paul Mahrer von 1924 im Nationalmuseum

Der Besuch der KZ-Gedenkstätte Auschwitz war der tiefbewegende Höhepunkt der Reise. Unter der sachkundigen und empathischen Führung von Lukáš Lev verbrachten wir über sechs Stunden an diesem Ort des Schreckens. Im Stammlager Auschwitz I erhielten wir Einblick in die Baracken mit zum Teil sehr verstörenden Hinterlassenschaften aus der Zeit, als hier über 1,1 bis 1,5 Millionen Juden fabrikmäßig ermordet wurden. Der Weg vorbei an zwei von insgesamt sechs Tonnen in Auschwitz gefunden Haaren war ebenso bedrückend wie ein Raum mit tausenden Kinderschuhen, hunderten Prothesen, Alltagsgegenständen und immer wieder tief berührenden Bildern aus jener Zeit.

Mit dem Shuttle-Bus ging es im Anschluss daran nach Auschwitz-Birkenau; ein Ort, der bereits mit seinem Eingangstor allen bekannt war und von uns doch nur schwer betreten werden konnte. Bei einem Rundgang über das 170 Hektar große Gelände berichtete Lukáš Lev über den Lageralltag und die unbegreiflichen Taten der Nationalsozialisten. Zum Abschluss führte uns Lukáš noch zur in Sichtweite zum Lager gelegenen ehemaligen SS-Kantine, hinter der sich außerdem noch ein originaler Waggon aus Deportationszeiten befand.

Wir beendeten diesen unglaublich emotionalen und herausfordernden Tag mit einer gemeinsamen Reflexion und bereiteten uns auf die Heimreise am Freitag vor.

Eindrücke aus dem Stammlager Auschwitz I

Lukáš Lev erklärt Originalaufnahmen an den historischen Schauplätzen

Prothesen der Deportierten und Ermordeten

"Buch der Namen"

eine beeindruckende Auflistung von über 4 Millionen bekannten Holocaustopfern

Eingangstor zu Auschwitz-Birkenau

die Rampe: Ort der Selektion

Gedenktafel für die Opfer des Nationalsozialismus

Those who do not remember the past, are condemned to repeat it.

Dieses Zitat von George Santayana begleitete uns während der gesamten Fahrt und bestärkte uns darin, dass Erinnern keine Last, sondern eine Verpflichtung und ein Selbstverständnis ist. Die Eindrücke aus Prag, Theresienstadt und Auschwitz, die Mischung aus historischen Fakten, Orten der Gewalt und des Widerstands und das Entdecken persönlicher Schicksale sorgte dabei für einen nachhaltigen Impuls bei den Jugendlichen und zeigte, dass Geschichte uns alle betrifft.

Robert Venus
Initiator und Leiter der Bildungsfahrt

Wir bedanken uns bei unseren Guides Lukáš Lev und Dr. Thomas Oellermann, sowie der Holger Koppe-Stiftung, die unsere Bildungsfahrt in diesem Jahr finanziell unterstützte.